„Warum bist Du so dick geworden?“ fragte Personaltrainer Felix Klemme den abnehmwilligen Kandidaten in der Fernsehsendung „Extrem schwer“ auf RTL2.
Diese Frage stellt man gerne, wenn man einen übergewichtigen Menschen sieht.
Bei schlanken Menschen, die niemals mit Übergewicht kämpfen mussten und die eine gesunde und normale Einstellung zur Ernährung haben, lässt der Anblick von dicken Menschen oft Unverständnis und Kopfschütteln hervorrufen.
Sie können nicht nachvollziehen, wie man so zunehmen konnte. Warum man sich nicht im Griff hatte. Und vor allem: Warum man nach 5 oder 10 kg Übergewicht nicht die Reißleine gezogen hat?
Wer nie in den Schuhen eines Übergewichtigen Menschen gesteckt hat, kann schwerlich nachvollziehen, wie lange und vor allem wie schnell der Zug in die falsche Richtung fahren kann.
Gründe für Übergewicht gibt es viele. Die Gründe sind ebenso vielfältig wie sehr oft nachvollziehbar.
Jeder Mensch ist eine Geschichte
Jeder Mensch ist eine Geschichte, die dahinter steht. Die wenigsten Übergewichtigen sind einfach nur dick, weil es immer so gut schmeckt. Das ist ein nützlicher Nebeneffekt. Essen tut dem Gaumen und der Seele gut. Zudem ist Hunger schlimmer als Heimweh, sagt der Volksmund.
Normalgewichtige Menschen, die 2 –5 kg zuviel auf der Waage sehen, schlagen eine von den Zeitschriften auf, die in einer Woche eine Abnahme von 2 kg versprechen und beginnen, sich zu zügeln. Sie ernähren sich von 3 gesunden Mahlzeiten, sie lassen die Süßigkeiten weg und nehmen in einer Woche 2 kg ab. Natürlich erst einmal nur Wasser.
Und dann hängen sie meistens noch 1-2 Wochen dran und schon sind sie wieder zufrieden mit ihrem Äußeren.
Haben sie dann dicke Freunde oder Bekannte, die ihr Leid über die auch so aus der Form geratenen Figur klagen, können sie kluge Tipps geben:
– Reiß Dich einfach mal zusammen.
– Iss halt weniger.
– Ernähr Dich gesund. Bei mir hat´s doch auch funktioniert.
– Beweg Dich mehr.
– Selber schuld, wenn du nicht eher etwas dagegen getan hast.
Dass bei extremem Übergewicht die Dinge nicht so einfach zu lösen sind, liegt natürlich vordergründig erst einmal am falschen Essverhalten. Aber eigentlich und ganz tief drinnen ist es mehr der Druck, der dahinter steckt. Und die falschen Gewohnheiten, die Sicherheit geben.
Frustessen als Tröster
Essen kann, gerade in sehr schweren Lebensphasen, zu einem Freund werden, der gut tut. Der tröstet. Und der schnelle Hilfe vermittelt.
Da man sich gerne in die eigenen vier Wände zurückzieht, wenn manchmal über viele Jahre das Fleisch schwächer war als der Geist und so viele Neustarts in der Abnahme in Niederlagen endeten, zieht man sich mutlos in die eigenen vier Wände zurück und lässt sich nur allzu gerne von seinem manchmal einzigen Freund trösten. Denn damit kann man das Gefühl des Versagens und der Resignation fürs Erste unterdrücken.
Der Katzenjammer kommt direkt danach. Man schlägt sich mit der neunschwänzigen Peitsche und schwört sich selbst: „Nie wieder! Ich werde mich dem Essen nie wieder so masslos hingeben. Ab morgen wird alles anders!“
Am nächsten Morgen, an dem der 197.000 Versuch gestartet wird, dem Leben endlich eine Wende zu geben, ist man stark. Man will es unbedingt. Nie wieder schwach sein. Nie wieder versagen. Endlich richtig schlank werden. Andere schaffen das doch auch.
Doch sobald der erste große Hunger kommt, sobald die nächste Hiobsbotschaft wieder über einen hereinbricht, sobald man negative Stimmung verspürt, wenn einen die Freunde wieder einmal enttäuscht haben, die Eltern Anforderungen an einen stellen, der Chef einen mal wieder ungerechtfertigt zur Schnecke gemacht hat oder auch nur, weil die Nachbarin sich wieder über Kleinigkeiten aufregte, siegt das schwache Fleisch.
Heute ist einfach nicht mein Tag. Heute muß ich mir was gönnen. Das Leben ist schließlich hart genug. Ich kann einfach nicht mehr. Und kompensiert negative Gefühle und Niederlagen mit Essen. Das tut im ersten Moment so richtig gut. Nach dem ersten Bissen kann man tief einatmen und die Welt um sich herum vergessen.
Macht Essen süchtig?
Ähnlich wie bei einem Alkoholiker der erste Schluck, wenn er es wieder und wieder probiert hat, aufzuhören. Man tröstet sich und spürt sich selbst wieder. Der Teufelskreis schließt sich.
Warum aber schaffen es dicke Menschen nicht, Probleme anders zu verarbeiten als dünne Menschen?
Möglicherweise sind sie in der Kindheit gerne getröstet worden, wenn sie sich das Knie aufgeschlagen hatten, Ärger mit den Freunden oder Streß mit den Eltern.
Welche Oma gibt dem Enkel nicht gerne ein Eis, wenn es traurig ist? Oder sie haben gelernt, dass Essen negative Gefühle unterdrücken kann. Oder aber sie wussten sich in schwierigen Lebenslagen einfach nicht anders zu helfen.
Ein Tag kam zum nächsten, ein Kilo zum anderen dazu und ohne dass man es so richtig begriffen hat, war man nicht bei 5 Kilo plus, sondern gleich bei 20 kg Übergewicht und mehr. Man hat verpasst, die Reißleine zu ziehen, weil man dachte: „Die paar Kilos krieg ich schnell wieder weg. Und so schlimm ist es ja noch gar nicht“.
Dünne Menschen dagegen nutzen Essen selten bis gar nicht als Ersatzbefriedigung. Für sie ist Essen eine Lebenserhaltung und keine Droge. Sie kompensieren negative Gefühle mit anderen Dingen. Möglicherweise powern sie sich beim Sport aus. Oder sie lenken sich mit Arbeit ab. Oder aber sie sprechen mit den besten Freunden darüber.
Das macht den Unterschied zwischen dem normalen Umgang mit Nahrung und Missbrauch mit Lebensmitteln aus.
Wer nie ein Problem mit dem Gewicht hatte, kann sehr schlecht nachvollziehen, wie man nicht mehr so leicht aus dem selbst geschaffenen Teufelskreis herauskommen soll.
Denn er kennt diese Probleme nicht. Und er ist entsetzt, wie es dazu kommen konnte.
„Urteile nie über mein Leben, wenn Du nicht mit meinen Schuhen gelaufen bist“, lautet ein weiser Spruch.
Den sollte man immer beherzigen, bevor man über andere Menschen spricht.
Der Ausweg aus der Übergewichtsfalle
Und noch bevor man Tausende von Versuchen unternimmt, seinem Leben eine neue Richtung zu geben und seine Ernährung umstellen will, sollte man bei extremem Übergewicht erst einmal ergründen, wie es überhaupt dazu gekommen ist, dass man so viele Kilos zuviel angehäuft hat.
Wer dies nicht möchte, wird möglicherweise immer wieder scheitern. Denn der gesunde Umgang mit Lebensmitteln ist irgendwo auf dem Weg verloren gegangen.
Und den müssen wir, neben der Selbstanalyse, erst wieder erlernen. Dann funktioniert auch die Richtungsänderung.